Samstag, 21. April 2012

Temperamentvoll - Stierkämpfe in Spanien

Wenn man über die Autobahn in Spanien fährt, fallen einem die überdimensionalen Stier-Silhouetten auf. Anfänglich als Werbegag des Weinherstellers Osborne gedacht, hat sich der Stier zum Nationalsymbol Spaniens stilisiert. Dreh- und Angelpunkt des spanischen Nationalsymbols sind jedoch die Stierkämpfe - und sie bilden den Ausgangspunkt für leidenschaftliche Diskussionen.

"Mátale!" schreit der ältere Mann neben mir. "Töte ihn!" In gewisser Weise teilnahmslos sitzt er auf den Stufen der Stierkampfarena "Las Ventas" und knabbert an seinen Sonnenblumenkernen. Es ist der vierte Stier, der gerade in der Arena kämpft. Dem älteren Mann macht der Stierkämpfer zu viele Scharmützel. Das geschwächte Tier stöhnt noch einige Male gequält auf, bevor es zusammenbricht. Der Novillero, sozusagen ein Stierkänpfer der Anfängerklasse, sticht ihn ab. Ein erschrockenes Raunen gepaart mit Applaus geht durch die Reihen. Mir wird klar: für zart besaitete Menschen ist der Besuch bei einem Stierkampf nichts.

Was hat man eigentlich für eine Vorstellung von einem Stierkampf? Stier läuft in die Arena, der Matador wartet mit seinem roten Tuch, der Stier wird wild und ist irgendwann tot. So habe ich es mir jedenfalls vorgestellt. Ist aber nicht ganz so.

Der Stierkampf hat einen ganz bestimmten Ablauf. Zunächst laufen alle Teilnehmer des Stierkampfes untermalt mit der Musik der Kapelle feierlich in die Arena.


Irgendwann wird der Stier in die Arena gelassen. Die sogenannten Picadores (zu Pferd) und Banderilleros  (zu Fuß) haben die Aufgabe den Stier zu schwächen. Sie stechen ihn mit der Lanze oder laufen auf den Stier zu und stecken ihm spitze Spieße in den Rücken. Nachdem der Stier zweimal von den Picaderos gestochen wurde und insgesamt sechs Spieße im Rücken stecken hat, kommt der eigentliche Hauptdarsteller (neben dem Stier) - der Matador. Er ist es, der den Stier per Espada (Schwert) umbringt. Aber nicht ohne ihn zuvor durch Wedeln des roten Tuches fuchsteufelswild gemacht zu haben. Durch die ständigen Bewegungen des Stiers verschlimmern sich seine Verletzungen. Nach ca. 20 Minuten ist der Stier tot. Es werden pro Veranstaltung immer mehrere Stiere umgebracht.



Soviel zu der dramatischen Seite des Stierkampfes.

Gleichzeitig ist es auch eine einzigartige Zelebration der spanischen Kultur. Es hat schon was fesselndes, wenn der Matador in seinem reich verzierten Kostüm und dem roten Tuch in der Hand ruhig stehen bleibt während der Stier auf ihn zu rennt. Es geht ein Raunen durch die Arena während lediglich wenige Zentimeter den Matador von dem tobenden Stier trennen. Nach mehreren gelungenen Kombinationen, bei denen der Stier ins Leere läuft jubelt das Publikum, wie wenn Ronaldo einen Freistoß für Madrid versenkt.

Müsste ich alles mit einem Wort beschreiben - dann wäre es beeindruckend. Auf der einen Seite der dargestellte Stolz, die spanische Kultur, das gesamte Ambiente. Und auf der anderen Seite Auf der anderen Seite die Brutalität der Veranstaltung.

Wohl kaum ein anderes Thema wird in Spanien so heftig diskutiert (außer aktuell vielleicht die Elefantenjagd des spanischen Königs in Afrika). Jeder scheint eine Meinung dazu zu haben. Diese Diskussion zieht sich von den Straßencafés in Madrid bis hinauf in den königlichen Palast. König Juan Carlos I. ist ein erklärter Befürworter der Kämpfe, während es heißt, dass seine Frau Königin Sofía eine Stierkampfgegnerin ist. "Der Stier hatte doch ein glückliches Leben", "Die 20 Minuten Leidenszeit sind doch garnichts", sagen Stierkampfbefürworter. "Einem Tier wird unnötiges Leid zugefügt", sagen die Gegner. Vor einigen Monaten wurden Stierkämpfe in Katalonien verboten, nachdem die kanarischen Inseln als erste spanische Region dieses Verbot ausgesprochen haben. Tierschützer und Stierkampfgegner hoffen, dass Andalusien und Madrid bald nachziehen. Doch auch sie wissen, dass bis zu diesem Zeitpunkt einige Jahre vergehen werden.

Wie man es dreht und wendet - temperamentvoll und leidenschaftlich bleiben nicht nur die Stierkämpfe - sondern auch die Diskussion über sie.


Die Bilder entstanden übrigens während einem Stierkampf für Nachwuchsstierkämpfer, sogenannte Novilleros. Bei diesen Veranstaltungen sind tendenziell weniger Besucher anwesend.

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